300
Insolvenzverwalter, Auskunft, Finanzbehörde, Informationsfreiheit, Verwaltungs-/Finanzrechtsweg, Abgabenangelegenheit
§ 4 IFG Hmb.
1/12
IFG Hmb. §§ 4, 3 Abs. 2 Nr. 5, § 15 Abs. 7, § 16; VwGO § 40 Abs. 1; FGO § 33
OVG Hamburg EWiR § 4 IFG Hmb. 1/12, 283 (Dauernheim/Schörnig)


Leitsätze des Gerichts:

1. Für Streitigkeiten um den auf das Hamburgische IFG gestützten
Anspruch auf Informationszugang zu Unterlagen, die sich bei einem
Finanzamt befinden, ist der Verwaltungsrechtsweg und nicht nach § 33
Abs. 1 Nr. 1 FGO der Finanzrechtsweg gegeben (entgegen BFH, Beschl. v.
10. 2. 2011 – VII B 183/10, ZIP 2011, 883).

2. Der voraussetzungslose Anspruch auf Zugang zu Informationen nach
den Informationsfreiheitsgesetzen ist gegenüber den Vorschriften, denen
die informationspflichtigen Stellen bei der Erledigung ihrer
unmittelbaren Aufgaben unterliegen, eigenständig und kein bloßer Annex
zum jeweiligen Fachrecht.

OVG Hamburg, Beschl. v. 21. 12. 2011 – 5 So 111/11 (nicht rechtskräftig, Az. des BVerwG BVerwG 7 € 2.12; VG Hamburg), ZIP 2012, 492 = ZInsO 2012, 222

Kurzkommentar:
Jörg Dauernheim,
Dr. iur., Rechtsanwalt, FA für Steuerrecht und für Insolvenzrecht –
Dauernheim Rechtsanwälte, Altenstadt, und Uwe Schörnig, Rechtsanwalt,
Köln

1. Im eröffneten Insolvenzverfahren
begehrte der klagende Insolvenzverwalter vom Finanzamt ausschließlich
nach dem Hamburgischen IFG Zugang zu Informationen aus den beim FA
geführten Vollstreckungsakten. Das FA wies sowohl das
Akteneinsichtsgesuch als auch den Einspruch zurück. Das angerufene VG
Hamburg bejahte seine Zuständigkeit mit Beschluss vom 6. 9. 2011 vorab
nach § 17a Abs. 3 GVG, § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO und verneinte eine
Spezialzuständigkeit der Finanzgerichte nach § 33 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2
FGO. Hierbei negierte es den Beschluss des BFH vom 10. 2. 2011 (ZIP 2011, 883, dazu EWiR 2011, 461 (M.J.W. Blank/M. Blank)).
Gegen diesen Vorabbeschluss legte das FA Beschwerde beim OVG Hamburg
ein. Es vertrat die Ansicht, beim Anspruch auf Akteneinsicht würde es
sich um eine abgabenrechtliche Streitigkeit nach § 33 Abs. 1 Nr. 1,
Abs. 2 FGO handeln. Der Kläger stützte sich ergänzend noch auf die
Rechtswegbeschwerdeentscheidung des OVG Münster vom 26. 8. 2009 (ZInsO
2009, 2401). Das OVG Hamburg wies die Beschwerde zurück. Die (weitere)
Beschwerde an das BVerwG wurde zugelassen.

2. Das OVG Hamburg hat in seiner
Entscheidung klargestellt, dass das VG zu Recht den Verwaltungsrechtsweg
bejaht habe. Die Auseinandersetzung mit einer Behörde um Gewährung des
Zugangs zu Informationen sei eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit
unabhängig vom Zweck, der dem Auskunftsbegehren zugrunde liegt. Auch die
mögliche Suche nach insolvenzrechtlichen Anfechtungsansprüchen mache
den Streit um die Gewährung der Akteneinsicht nicht zu einer
zivilrechtlichen Streitigkeit. Deshalb sei auch für Streitigkeiten auf
Auskunft aus Unterlagen, die sich bei einem FA befinden und deren
Begehren auf das IFG Hmb. gestützt wird, der Rechtsweg zur
Finanzgerichtsbarkeit nicht eröffnet. Insoweit handele es sich um keine
Abgabenangelegenheit i. S. d. § 33 FGO.

Der Anspruch auf Auskunft nach dem IFG Hmb. sei ein eigener Anspruch
gegenüber der Behörde, der nicht an die Beteiligung an einem laufenden
oder abgeschlossenen Dauernheim/Schörnig, OVG Hamburg EWiR § 4 IFG Hmb. 1/12, 284Verwaltungsverfahren
anknüpft. Er setze noch nicht einmal eine Rechtsbeziehung zwischen dem
Auskunftsbegehrenden und der zuständigen Behörde voraus. Folglich
entstehe der Anspruch nicht anlässlich der Verwaltung der Abgaben oder
bei der Anwendung abgabenrechtlicher Vorschriften. Vielmehr liege die
Grundlage des Streits allein in der Frage der Gewährung oder
Nichtgewährung des Informationszugangs und sei vom Inhalt der Akten, auf
die sich das Begehren bezieht, grundsätzlich unabhängig. Entgegen der
Ansicht des BFH (ZIP 2011, 883),
die nun auch vom FG Kiel – 5 K 113/11 (rkr., n.v.) vertreten wird, habe
der Auskunftsanspruch auch keinen eindeutigen und logisch zwingenden
Zusammenhang zu Abgabenangelegenheiten und er sei auch nicht aus einem
Abgabenrechtsverhältnis abgeleitet. Gleiches treffe auch auf den
Informationsanspruch gegenüber einem Sozialversicherungsträger zu (LSG
Stuttgart ZVI 2011, 180,
Rz. 26 ff.). Schließlich ist nach Ansicht des Gerichts die Anwendung
des § 4 IFG Hmb. für Steuerakten nicht generell ausgeschlossen worden,
so dass die Anspruchsgrundlage neben § 30 AO angewendet werden kann.

3.1 Die begrüßenswerte Entscheidung des OVG Hamburg reiht sich ein in die Entscheidungen des OVG Münster (ZIP 2011, 1426, dazu EWiR 2011, 505 (M.J.W. Blank)), des OVG Berlin-Brandenburg (ZIP 2011, 447 = ZVI 2011, 231
und Beschl. 9. 3. 2012 – 12 L 67.11, n.v.) sowie auch des FG Kiel – 5 K
113/11 (das FG Kiel vertritt entgegen dem oben Gesagten insoweit die
Gegenauffassung zum BFH, dass nach Abschluss des Verfahrens und somit
außerhalb von Klageverfahren Auskunft nach dem IFG Hmb. zu erteilen
ist), wonach der Auskunftsanspruch nach den Landes-IFG auch bei
Auskunftsverlangen gegen das FA durch einen Insolvenzverwalter im
Verwaltungsrechtsweg geltend zu machen ist. Auch bei Auskunftsansprüchen
von Insolvenzverwaltern nach IFG gegenüber den Trägern der
Sozialversicherung wurde entschieden, dass die Verwaltungs- und nicht
die Sozialgerichtsbarkeit zuständig ist (LSG Stuttgart ZVI 2011, 180, Rz. 26 ff.; OVG Münster ZIP 2008, 1542 (m. Bespr. Dauernheim/Behler/Heutz, S. 2296) = ZVI 2008, 351; VG Freiburg ZInsO 2011, 1956).

In dieser Entscheidung wendet sich das Gericht vornehmlich gegen die
Auffassung des BFH und legt dieses in seinen Leitsätzen ausdrücklich
dar. Durch die gleichzeitige Zulassung der Beschwerde zum BVerwG wird
deutlich, dass eine endgültige Klärung mit dem BFH beabsichtigt ist. Ein
Indiz, dass das BVerwG diese Auffassung bestätigen könnte, kann einem
Beschluss vom 9. 12. 2010 (ZIP 2011, 41, dazu EWiR 2011, 83 (M.J.W. Blank))
entnommen werden, wonach nur solche Rechtsvorschriften das IFG
verdrängen können, die wie dieses in gleicher Weise „den Zugang zu
amtlichen Informationen" regeln. Solche Absicht kann für die Regelungen
der AO und FGO durchaus verneint werden.

3.2 Es ist deshalb zu empfehlen in den
Ländern, die ein IFG verabschiedet haben (derzeit Brandenburg, Berlin,
Schleswig-Holstein, NRW, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg, Bremen,
Saarland, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz), Auskunftsersuchen
gegen das FA auf das Landes-IFG zu stützen und im Wege der
Verwaltungsgerichtsbarkeit durchzusetzen. Hier sind bessere Erfolge zu
erwarten (zur Frage der Auskunftsverpflichtung des FA ist eine Revision
anhängig, BFH II R 17/11). In den anderen Ländern kann mangels
Anwendbarkeit des Bundes-IFG nur auf die weniger erfolgversprechenden
Regelungen z. B. nach § 242 BGB oder § 78 FGO und die entsprechenden
Rechtswege verwiesen werden.

© 2012 RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH incl. Bild